Wie Achtsamkeit Ihnen dabei helfen kann, sich weniger zu stressen

Stress gehört zum Leben einfach dazu. Zwar kann man Stress nicht immer vermeiden, man kann sich jedoch emotional rüsten. Psychologin Erin Olivo, spezialisiert auf achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie, erklärt uns wie:

 

Wir alle kennen dieses Gefühl: ein plötzlicher Alarmzustand, der den Atem beschleunigt, das Herz schneller schlagen lässt und die Muskeln anspannt. Stress bereitet den Körper vor auf ein Flucht- oder Angriffsverhalten. Dabei handelt es sich um ein Überbleibsel unserer Evolutionsgeschichte, die uns auch heute noch beim Umgang mit verschiedenen Herausforderungen des Lebens helfen kann. Wenn der Stress jedoch über einen längeren Zeitraum andauert oder wenn sich Alltagsstress ansammelt und uns überwältigt, dann kann dies Ihr physisches und emotionales Wohlbefinden entschieden beeinträchtigen.

 

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Zwischen übervollen Arbeitstagen, anspruchsvollen Beziehungen und Social Media Feeds, die frisches Material brauchen, macht sich schnell chronischer Stress breit. Dr. Erin Olivo sieht tagtäglich in ihrer Privatpraxis in Manhattan welch lähmende Auswirkungen Stress haben kann. Um ihren Patientinnen und Patienten dabei zu helfen, besser mit Stress umgehen zu können, bringt sie ihnen Körper-Geist-Strategien bei, basierend auf Meditationspraktiken, um den "Achtsamkeitsmuskel" zu stärken. Dr. Olivo sagt, dass es hierfür etwas Übung braucht, aber dass wir alle lernen können, wie es geht. Erfahren Sie hier, was sie zum Thema ungesunder Stress zu sagen hat, wie man ihn erkennen und bekämpfen kann.

 

Stress steht im Zusammenhang mit fast allem, angefangen bei Depressionen bis hin zu Herzerkrankungen. Bereits beim Hören des Wortes verkrampfen sich einige von uns. Aber wird Stress seinem schlechten Ruf eigentlich gerecht oder ist er besser als man denkt?

„Stress bedeutet, dass Ihr Körper auf anspruchsvolle Dinge reagiert. Die Muskeln können sich verkrampfen, das Herz rast, man bekommt kaum Luft. Diese sind körperliche Reaktionen auf Stressfaktoren, sogenannte Kampf- oder Fluchtantworten, die nicht unbedingt schlecht sind. Langfristig kann Stress jedoch zu hohem Blutdruck , Magenproblemen, chronischen Muskelschmerzen, Erschöpfung, Schlaflosigkeit und Spannungen in Ihrem Körper führen. Dies wird als chronischer Stress bezeichnet. In manchen Fällen muss chronischer Stress ärztlich behandelt werden. Aus Untersuchungen geht hervor, dass ein Drittel aller Besuche bei einem Allgemeinmediziner im Zusammenhang mit Stress stehen. Derartige Symptome gelten als Hinweise, besser mit unserem emotionalen Stress umzugehen.”

 

Was können wir tun, um diese Hinweise ernster zu nehmen und unser Stressmanagement zu verbessern?

„Zunächst sollten wir wirklich begreifen, was wir fühlen, wenn wir gestresst sind. Hier hilft Achtsamkeit. Achtsamkeit ist mehr als eine einfache Reaktion auf Stress. Es geht dabei darum, was wir wirklich fühlen und unseren Stress bewusster wahrzunehmen. Seinen Stress aufmerksam wahrnehmen bedeutet, Abstand von sich selber zu nehmen, damit sich Gedanken und Gefühle in Objekte verwandeln, die man beobachten kann. Dies ist oft schwer, manchmal ist man sehr gefangen, in dem, was man fühlt und hat Schwierigkeiten, einen Beobachterstandpunkt einzunehmen. Man kann es sich jedoch antrainieren, es ist eine erlernbare Fähigkeit. Ich bringe meinen Patientinnen und Patienten bei, wie sie ihren Achtsamkeitsmuskel durch Meditation trainieren können.“

 

Seinen Achtsamkeitsmuskel trainieren, wie funktioniert das genau?

„Stress entsteht im Körper, weshalb man zuerst hier ansetzen sollte. Man fängt mit dem Körper und der Atmung an. Sobald man sich auf die Atmung konzentriert, sie im Körper spürt, beginnt der Geist zu wandern. Sobald sich der Geist befreit, findet man wieder zur Atmung zurück. Auf diese Weise wird die Aufmerksamkeit trainiert. Es sollte nicht als negativ angesehen werden, wenn der Geist abschweift, Die Übung besteht darin, ihn wieder zurückzubringen.“

 

Kann jeder meditieren?

„Absolut. Bei Meditation denken die Menschen häufig an jemanden, der mit gekreuzten Beinen auf einer Matte sitzt. Natürlich kann man so meditieren, es gibt jedoch auch ganz andere Formen Medition ist an jedem Ort möglich, selbst wenn es nur fünf Minuten oder fünf Atemzüge sind. Um es auszuprobieren, können Sie etwas, das Sie sowieso tun, wie Zähneputzen oder Duschen,  Achtsamkeitsübung verwandeln.. Wenn Ihr Geist abschweift, konzentrieren Sie sich wieder auf das Gefühl unter der Dusche zu stehen. Dabei handelt es sich um eine formlose Meditationsübung – perfekt für den Einstieg. Fangen Sie bei einer formlosen Meditation mit 5 Minuten an. Lange Meditationen können zunächst eine Herausforderung darstellen, mit der Zeit wird es jedoch immer einfacher.“

 

Gibt es generelle Ursachen für Stress, die Sie häufig in Ihrem Praxisalltag vorfinden?

„Ich glaube, dass eine unserer zentralen Stressquellen unsere sich rasant verändernde Welt ist, diese übt viel Druck durch ständige Vernetzung und Verfügbarkeit auf uns aus. Auch unser Arbeitstag geht über die traditionellen acht Stunden hinaus. Und nicht zuletzt sind wir durch Social Media zum PR Manager unseres eigenen Lebens geworden. Und das ist ziemlich stressig. Menschen brauchen einfach Zeit zum Entschleunigen und Nichtstun. Andere weit verbreitete Stressfaktoren sind ganz traditionell, die Beziehungen zu anderen Menschen. Ein Partner, Freunde oder ein Kind machen das Leben meist komplizierter. Die Menschen haben häufig Schwierigkeiten damit und fühlen sich gestresst.“

 

Fühlen Sie sich selbst, als geschulte Stress-Expertin, trotzdem manchmal gestresst?

„Ja, natürlich! Wenn ich zum Zug renne, weil ich ihn ansonsten verpasse, fühle ich mich sehr gestresst. Sobald ich jedoch im Zug sitze und ein paar Atemübungen mache finde ich wieder zurück zu meinem entspannten Zustand. Stress ist menschlich und ein Teil des Lebens. Es ist wichtig, sich dessen bewusst zu werden, dass das Ziel nicht darin besteht, sich nie wieder gestresst zu fühlen. Das Ziel besteht darin, unseren Stress ganz zu fühlen, zu identifizieren und dann damit umzugehen.“

 

Last, but not least: Haben Sie eine tägliche Routine?

„Bevor ich meine Patientinnen und Patienten empfange mache ich eine kurze, zehnminütige Meditationsübung. Ich nutze die Zeit, um mich zu erden und voll und ganz da zu sein, bevor ich meinen Tag beginne.“